Die Geschichte der christlichen Gemeinschaften im Lande Israel beginnt mit dem Leben und Wirken Jesu von Nazareth. Nach seinem Tod blieb die frühe urchristliche Gemeinde in und um Jerusalem bis zum Wiederaufbau Jerusalems als römische Stadt unter dem Namen Aelia Capitolina (135 n. Chr.) eine juden-christliche Gemeinde.
Nach diesem Zeitpunkt waren die Mitglieder der einheimischen Kirche insgesamt Heidenchristen. Bis zu den frühen Ökumenischen Konzilen blieb die Einheit und Einheitlichkeit der Gemeinden gewahrt. Zur Zeit der muslimischen Eroberung des Landes hatte sich die Kirche im Osten bereits in verschiedene Richtungen aufgespalten, doch teilten sie auch weiterhin die Heiligen Stätten miteinander. Erst mit der Errichtung des Königreiches der Kreuzfahrer und der Vorherrschaft (praedominium) der (lateinischen) Kirche des Westens kam es zu Konflikten um die Heiligen Stätten, die auch unter der Herrschaft der Mamelucken und Osmanen nicht gelöst wurden und bis zur Verkündigung des Status quo im 19. Jahrhundert andauerten. »Dieser Status quo stammt aus dem Jahr 1852. Der osmanische Sultan wollte damals als weltlicher Herrscher den Rangeleien der Kirchen um die heiligen Stätten ein Ende bereiten und entschied einfach, dass alles genau so zu bleiben habe, wie es zu diesem Zeitpunkt war.« (1)
Aufgrund der Vielzahl seiner Gemeinschaften und Strömungen mit den unterschiedlichsten Ausprägungen fällt eine einfache Definition des heutigen Christentums schwer. Deshalb empfiehlt sich ein Blick in das Neue Testament und auf die ersten christlichen Gemeinden. Er erlaubt die Sicht auf die Ursprünge.
Ohne die in zwei Jahrtausenden durch Kirchen geschaffenen Traditionen, Rituale, Institutionen
und Glaubenspraktiken erscheint dieser Ausblick als geradezu einfach: Das Geheimnis
des Evangeliums, das gerade Gebildeten und Einflussreichen zu schaffen machte. Sollte
denn die Vergebung der Sünden und damit die Versöhnung und Basis der Gemeinschaft
mit Gott auch dem »einfachen Mann« gelten?
Die ersten Christen beriefen sich auf die Aussagen Jesu. Sie glaubten, dass er der
verheißene Messias war und dass er sie von ihren Sünden, also dem sinnlosen Trachten
in der Gottferne, befreit. Bestätigung fanden sie in der Umwandlung ihres Lebens durch
die Macht des Heiligen Geistes. Sie waren erfüllt mit Hoffnung auf das Ewige Leben.
Sie nahmen ethische Maßstäbe an, nach denen aus eigener Kraft nicht zu leben war.
Sie betonten ihre Fürsorge für andere. Aber überdies wussten sie sich in allen Dingen
ihrem Herrn Jesus Christus verpflichtet.
Einfachheit, Gemeinschaft, Evangelisation und Liebe waren die Merkmale der ersten
Christenheit. Sie war einfach, weil keine formale Organisation zu unterhalten war.
Es wurde eine leicht verständliche Lehre verkündigt und Vorhaben der Gemeinde durch
persönliche Gaben finanziert. Jeder, der den Glauben an Christus mit der Taufe besiegelte,
wurde Mitglied der christlichen Gemeinde und damit einer verbindlichen Gemeinschaft,
in der nicht nach Rasse, Nationalität, Geschlecht, gesellschaftlichem Status, Sklaverei
oder Freiheit getrennt wurde. Gemäß des Missionsauftrages wandten die ersten Christen
viel Kraft daran, das Evangelium in alle Welt denen zu verkünden, die es hören wollten.
Das Wachstum der frühchristlichen Bewegung lässt sich letztlich nur vom Glauben an
den auferstandenen Christus her erklären. Ohne die Auferstehung hätte es keine christliche
Gemeinde geben können. Die Christen waren überzeugt, dass ihr Herr den Tod überwunden
hatte und vielen von ihnen persönlich erschienen war.
Nur dieser Glaube erklärt, wie aus der kleinen und demoralisierten Gruppe bei der
Kreuzigung Jesu die Gemeinde entstand, die alle Hindernisse auf dem Weg ihrer weltweiten
Mission überwunden hat. Aus den niedergeschlagenen Jüngern wurden Menschen, die eine
der dynamischsten Bewegungen der Geschichte einleiteten.
Das Gebet in der Bibel ist ein freiwilliges Gebet, kein Pflichtgebet. Es ist ein persönliches Gespräch mit Gott und ein großes Vorrecht: Der Mensch als Sünder ist nicht würdig, vor Gott zu treten. Nur weil Jesus den Betenden vor Gott vertritt und ihn reinigt von »aller Ungerechtigkeit« (1. Johannes 1,9), darf er vor Gott treten, vor den »Thron der Gnade« (Hebräer 4,16).
Der Heilige Geist bringt in einem Menschen den Wunsch hervor, sich im Gebet mit allen
Anliegen an Gott zu wenden. Jeder, der beten möchte, kann sich jederzeit und überall
an Gott wenden. Weil Gott der Vater seiner Kinder ist, erhört er ihre Bitten. Gottes
Kinder können sich an Gott mit der vertrauten Anrede »Lieber Papa« (»Abba, lieber
Vater«, Römer 8,15) wenden. Was könnte größere Nähe, Vertrautheit, Fürsorge und Liebe
ausdrücken?
Nirgends in der Bibel gibt es Anweisungen, wie oft und mit welchen Formulierungen
ein Christ zu beten hat. Es gibt zwar Beispiele für Gebetstexte wie die Psalmen oder
Jesu Gebete – vor allem das Vaterunser –, aber keine Bestimmungen, die für alle Christen
gelten. Es gibt keinen Ort, keine Zeit, keine Anzahl der Gebete, keine Körperhaltung
und keine Gebetsform, die beachtet werden müsste, um das Gebet angenehm vor Gott oder
»gültig« zu machen. Entscheidend ist die innere Einstellung des Beters, nicht seine
Worte.
Jesus selbst verwirft die Vorstellung, das Gebet müsse in eine bestimmte Richtung
oder an einem bestimmten Ort gesprochen werden (Johannes 4,21). Jesus selbst ist der
Weg zu Gott, aber die Einhaltung einer bestimmten Gebetsrichtung kann niemand näher
zu Gott bringen. Eine rituelle Waschung macht nicht rein vor Gott: In der Bibel kann
Reinheit nur durch Blutvergießen erreicht werden (Hebräer 9,22), und zwar nur durch
das Blut Christi (Hebräer 10,4). Diese Reinheit steht jedem zu, der die Erlösungstat
Jesu Christi für sein Leben annimmt.
Die orthodoxe Kirche (auch als Ostkirche oder griechisch-orthodoxe Kirche bezeichnet) besteht aus allen denjenigen Kirchen, die den Ehrenprimat, also die bevorzugte Stellung des Patriarchen von Konstantinopel, dem heutigen Istanbul, anerkennen. Historisch hat sich die orthodoxe Kirche aus den Kirchen des oströmischen oder byzantinischen Reiches entwickelt.
Das griechisch-orthodoxe Patriarchat betrachtet sich als die Mutterkirche von Jerusalem,
deren Bischof die Patriarchenwürde durch das Konzil von Chalcedon, wahrscheinlich
nach der altgriechischen Stadt Kalchedon am Bosporus, im Jahre 451 erhielt. Seit 1054
liegt das griechisch-orthodoxe Patriarchat mit Rom im Schisma, d.h. in einer aus kirchenrechtlichen
Gründen entstandenen Kirchenspaltung. 1964 kam es jedoch in Jerusalem zu einem historischen
Treffen zwischen Papst Paul VI. und dem Ökumenischen Patriarchen von Konstantinopel,
Athenagoras.
Nach der Eroberung durch die Kreuzfahrer im Jahre 1099 wurde das (orthodoxe) Patriarchat
von Jerusalem, das sich ohnehin bereits im Exil befand, nach Konstantinopel verlegt.
Die ständige Residenz des Patriarchen in Jerusalem wurde erst wieder 1845 erneuert.
Seit 1662 werden die orthodoxen Interessen im Heiligen Land von der Bruderschaft des
Heiligen Grabes wahrgenommen, die den Status der orthodoxen Kirche an den Heiligen
Stätten zu sichern und den griechischen Charakter des Patriarchats zu wahren suchte.
In den Gemeinden der Ostkirche wird hauptsächlich Arabisch gesprochen. Den Gemeindedienst
versehen arabische, verheiratete Priester und Mitglieder der Bruderschaft des Heiligen
Grabes. Die Mitgliederzahlen liegen bei zirka 120 000 in Jerusalem, Galiläa, Judäa,
Samaria und Gaza.
Zwei weitere historische orthodoxe Nationalkirchen sind ebenfalls im Lande vertreten:
die russische und die rumänische. Infolge ihrer Verbindung mit der griechisch-orthodoxen
Kirche unterstehen sie dem griechisch-orthodoxen Patriarchat.
Die russisch-orthodoxe Mission wurde 1858 in Jerusalem errichtet. Doch russische Christen
waren bereits im 11. Jahrhundert, einige Jahre nach der Christianisierung Kiews, zu
Besuchen ins Heilige Land gekommen. Derartige Besuche wurden in den folgenden 900
Jahren fortgesetzt. Sie erreichten ihren Höhepunkt in den großen jährlichen Pilgerfahrten
des späten 19. Jahrhunderts, die bis zum Ersten Weltkrieg andauerten und mit der russischen
Revolution ein Ende fanden.
Seit 1949 liegt der Eigentumsanspruch auf den Besitz der russischen Kirche auf die
Territorien, die zu jener Zeit zum Staatsgebiet Israels gehörten, bei der russisch-orthodoxen
Mission (Patriarchat von Moskau); der Anspruch auf den Kirchenbesitz in Gebieten,
die zu jenem Zeitpunkt unter jordanische Verwaltung fielen, verblieb bei der russisch-kirchlichen
Mission, die die russisch-orthodoxe Kirche im Exil vertritt. Beide Missionen werden
jeweils von einem Archimandriten geleitet, der Vorsteher mehrerer Klöster, dem eine
Zahl von Mönchen und Nonnen zur Seite stehen.
Eine Mission der rumänisch-orthodoxen Kirche wurde 1935 eingerichtet. Sie wird von
einem Archimandriten geführt und besteht aus einer kleinen Gemeinschaft von Mönchen
und Nonnen in Jerusalem.
Bei den sogenannten nicht-chalcedonensischen Kirchen handelt es sich um Kirchen des Ostens – Armenier, Kopten, Äthiopier und Syrer –, die die Lehrbeschlüsse des Konzils von Chalcedon (451) von den zwei Naturen Christi (vollkommener Gott und vollkommener Mensch) ablehnen. Die nicht-chalcedonensischen Kirchen halten an der monophysitischen Lehre von der einen, göttlichen Natur in Christus fest.
Die armenisch-orthodoxe Kirche reicht bis in das Jahr 301 zurück, in dem die Armenier
als erstes Volk das Christentum annahmen. Seit dem 5. Jahrhundert gibt es eine armenische
Religionsgemeinschaft in Jerusalem. Armenische Quellen datieren den ersten Patriarchen
nach der Ernennungsurkunde des Kalifen Omar an den Patriarchen Abraham im Jahr 638.
Das armenische Patriarchat von Jerusalem wurde 1311 eingerichtet.
Während des 19. Jahrhunderts sowie während und unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg
wuchs die lokale armenische Gemeinde durch die Aufnahme der Überlebenden der Massaker
durch die Türken in Anatolien, insbesondere derjenigen von 1915. Vor 1939 zählte die
Gemeinde über 15.000 Mitglieder und war damit die drittgrößte christliche Gruppe im
Lande. Heute leben ungefähr 4000 Gemeindemitglieder – in Jerusalem, Haifa, Jaffa und
Bethlehem.
Die koptisch-orthodoxe Kirche hat ihre Wurzeln in Ägypten, wo große Bevölkerungsteile während der ersten Jahrhunderte christlich wurden. Nach der Tradition kamen die Kopten mit Helena, der Mutter des römischen Kaisers Konstantin, nach Jerusalem. Die koptische Kirche übte früh erheblichen Einfluss auf die Entwicklung des Mönchstums in der Judäischen Wüste aus. Die Gemeinschaft blühte während der Mameluckenzeit (1250–1517) und noch einmal unter Mohammed Ali im Jahre 1830. Seit dem 13. Jahrhundert wird der (koptische) Patriarch von Alexandria in Jerusalem durch einen ortsansässigen Erzbischof repräsentiert. Die Gemeinde hat etwas mehr als 1000 Mitglieder – in Jerusalem, Bethlehem und Nazareth.
Die äthiopisch-orthodoxe Kirche hat mindestens seit dem Mittelalter eine Gemeinde in Jerusalem. Historiker der frühen Kirche erwähnen bereits im 4. Jahrhundert die Präsenz äthiopischer Pilger im Heiligen Land. Sicher ist, dass die äthiopische Kirche in den folgenden Jahrhunderten wichtige Rechte über die Heiligen Stätten besessen hatte, die sie nahezu vollständig unter der Herrschaft der Osmanen – vor der Erklärung des Status quo – verlor.
Heute ist die äthiopische Kirche in Israel eine kleine Gemeinschaft, die von einem
Erzbischof geleitet wird. Sie besteht im wesentlichen aus einigen Dutzend Mönchen
und Nonnen (obwohl auch die Laiengemeinschaft wächst), die in der Altstadt und in
der Nähe der äthiopischen Kirche in West-Jerusalem leben. Seit der Wiederaufnahme
der diplomatischen Beziehungen zwischen Äthiopien und Israel hat die Zahl der Pilger
zugenommen. Fast 1000 äthiopische Pilger nahmen 1995 an den Zeremonien der Heiligen
Woche teil.
Die syrisch-orthodoxe Kirche ist die Nachfolgerin der antiken Kirche von Antiochia
und damit eine der ältesten christlichen Gemeinschaften im Nahen Osten. Zu ihren Traditionen
gehört der kontinuierliche Gebrauch der alt-syrischen Sprache (West-Aramäisch) in
Liturgie und Gebet. Die syrisch-monophysitische Kirche ist auch unter dem Namen der
Jakobiten bekannt (nach Jakob Baradai, der die Kirche im 6. Jahrhundert organisierte).
Ihr Patriarch residiert in Damaskus. Seit 793 (und seit 1471 kontinuierlich) gibt
es syrisch-orthodoxe Bischöfe in Jerusalem. Heute wird die lokale Gemeinde von einem
Bischof geleitet, der in Jerusalem im Kloster zum Heiligen Markus aus dem 7. Jahrhundert
residiert. Die Gemeinde zählt zirka 2000 Mitglieder, von denen die Mehrheit in Jerusalem
und Bethlehem lebt.
Die Apostolische Kirche des Ostens hat ihre Ursprünge in der Grenzregion zwischen
der Türkei, dem Iran und dem Irak. Ihre Liturgie- und Gebetssprache ist das Ost-Aramäische,
also eine Form der alt-syrischen Sprache. Seit 1917 residiert ihr Patriarch in Chicago
und Kerala (Indien). Die Kirche ist seit dem 5. Jahrhundert in Jerusalem präsent.
Heute wird sie durch einen Erzbischof in der Stadt vertreten.
Trotz wechselnder Beziehungen zwischen Rom und Konstantinopel (heute: Istanbul) gab es vor der Zeit der Kreuzfahrer keinen Versuch, im Heiligen Land eine westliche, vom orthodoxen Patriarchat unabhängige Kirche zu errichten. Erst während der Kreuzfahrerzeit bestand zwischen 1099 und 1291 das lateinische Patriarchat von Jerusalem, das erst 1847 seinen Dienst wieder aufnehmen konnte.
In der Zwischenzeit lag die Verantwortung für die lokalen Gemeinden bei dem Franziskanerorden,
der seit dem 14. Jahrhundert der Kustos, also der Vorsteher des Ordens, der eine Art
Botschafter des Vatikans für die Heiligen Stätten der Lateiner im Heiligen Land war.
Heute wird die lateinische Kirche in Jerusalem von einem Patriarchen geleitet, dem
drei Vikare (in Nazareth, Amman und Zypern) zur Seite stehen. Die Gemeinschaft in
Israel zählt etwa 20.000 Mitglieder (mit weiteren 10.000 in den Palästinensergebieten).
Die Kirche der Maroniten ist eine christliche Gemeinschaft syrischen Ursprungs, deren
Mitglieder heute mehrheitlich im Libanon leben. Die Maroniten sind seit 1182 formal
an die römisch-katholische Kirche angegliedert. Sie ist die einzige Ostkirche, die
völlig katholisch ist. Als eine unierte Körperschaft (eine an die römisch-katholische
Kirche angegliederte Ostkirche mit jeweils eigener Sprache, eigenem Ritus und kanonischen
Gesetzen) besitzen die Maroniten eine eigene Liturgie, die ihrem Wesen nach ein antiochenischer
Ritus in alt-syrischer Sprache ist. In Israel gibt es zirka 6700 Maroniten, von denen
die meisten in Galiläa leben. Das maronitische Patriarchalvikariat in Jerusalem wurde
1895 gegründet.
Die griechisch-melchitische Kirche entstand 1724 in der Folge eines Schismas, d.h.
einer aus kirchenrechtlichen Gründen entstandenen Kirchenspaltung, in der griechisch-orthodoxen
Kirche von Antiochia. Der Begriff »Melchiten« reicht ins 4. Jahrhundert zurück und
bezieht sich auf die einheimischen Christen, die die Glaubenssätze des Konzils von
Chalcedon annahmen und somit dem »kaiserlichen« Sitz von Konstantinopel verbunden
blieben.
Eine griechisch-katholische Erzdiözese wurde 1752 in Galiläa gegründet. Zwanzig Jahre
später wurden die griechischen Katholiken in Jerusalem dem melchitischen Patriarchen
von Antiochia unterstellt, der in Jerusalem durch einen Patriarchalvikar vertreten
wird. Die gegenwärtige Mitgliederzahl der griechisch-katholischen Diözese in Galiläa
beträgt zirka 50.000; die Diözese von Jerusalem hat etwa 3000 Mitglieder.
Die syrisch-katholische Kirche, eine unierte Absplitterung der monophysitischen syrisch-orthodoxen
Kirche, ist seit 1663 an Rom angegliedert. Die syrischen Katholiken haben ihr eigenes
Patriarchat (Sitz in Beirut). Seit 1890 ist ein Patriarchalvikar in Jerusalem als
geistlicher Betreuer für eine kleine einheimische Gemeinde von 350 Mitgliedern in
der Stadt und in Bethlehem zuständig. Im Juli 1985 konnte die Gemeinde ihre neue Patriarchalkirche
in Jerusalem weihen, die dem Heiligen Thomas, dem Apostel der Völker in Syrien und
Indien, gewidmet ist.
Die armenisch-katholische Kirche trennte sich von der armenisch-orthodoxen Kirche
im Jahre 1741, obwohl bereits zuvor eine armenische Gemeinschaft in Cilicien (im Süden
Anatoliens) seit der Kreuzfahrerzeit mit Rom in Kontakt gestanden hatte. Der armenisch-katholische
Patriarch residiert in Beirut, weil die Behörden des Osmanischen Reiches seine Residenz
in Konstantinopel ablehnten. Ein Patriarchalvikariat wurde 1842 in Jerusalem errichtet.
Die armenisch-katholische Gemeinde im Heiligen Land hat ungefähr 900 Mitglieder, die
in Jerusalem, Bethanien, Ramallah, Haifa und Gaza leben. Trotz der Union mit Rom unterhält
die Kirche gute Beziehungen zur armenisch-orthodoxen Kirche. Beide Kirchen arbeiten
zum Wohl der gesamten Gemeinschaft eng zusammen.
Die koptisch-katholische Kirche ist seit 1741 mit der römisch-katholischen Kirche
uniert. Doch erst 1955 ernannte der unierte koptisch-katholische Patriarch von Alexandria
einen Patriarchalvikar in Jerusalem, wo die Gemeinschaft heute ungefähr 35 Mitglieder
hat.
Die chaldäisch-katholische Kirche ist als unierte Kirche die Nachfolgerin der alten
nestorianischen (assyrischen) Kirche. Ihre Mitglieder haben die altsyrische Sprache
in Liturgie und Gebet bewahrt. Die Kirche wurde 1551 gegründet. Ihr Patriarch residiert
in Bagdad. Die Gemeinschaft im Heiligen Land zählt nur wenige Familien. Trotzdem besitzt
die chaldäisch-katholische Kirche den Status einer »anerkannten« religiösen Gemeinschaft
in Israel. Seit 1903 werden die Chaldäer in Jerusalem durch einen nicht ansässigen
Patriarchalvikar vertreten.
Von größter Bedeutung für die katholischen Kirchen im Heiligen Land war die Unterzeichnung
eines Grundlagenabkommens zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Staat Israel am 30.
Dezember 1993. Das Abkommen führte zur Aufnahme voller diplomatischer Beziehungen
zwischen den beiden Staaten einige Monate später.
Papst Johannes Paul II. brach am 20. März 2000 zur historischen Reise ins Heilige
Land auf. Nach dem Besuch des Bergs Nebo und des östlichen Jordanufers reiste das
Oberhaupt der katholischen Kirche nach Israel weiter. Obwohl der gebrechliche, damals
79-jährige Papst in seinen 22 Dienstjahren 120 Länder besucht hatte, war er bisher
noch nie nach Israel gereist. Dies hatte hauptsächlich politische Gründe, da der Vatikan
erst wenige Jahre zuvor Israel als souveränen Staat anerkannte. Papst Paul VI., der
das Heilige Land 1964 besuchte, erwähnte Israel mit keinem Wort! Nach Ansicht vieler
Israelis, Politiker ebenso wie jüdischer Geistlichen, bedeutete die Reise Johannes
Pauls II einen Wendepunkt in der Beziehung zwischen Juden und Christen und den Aufbruch
in eine neue, brüderliche Zukunft. Der berühmte israelische Schriftsteller Amos Oz
sagte: »Es war eine Reinigung.«
In der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem entschuldigte sich der Papst für die Verbrechen
der katholischen Kirche an jüdischen Menschen und (indirekt) für das Schweigen im
Dritten Reich und bat um Vergebung:
»Als Bischof von Rom und Nachfolger des Apostels Petrus versichere ich dem jüdischen Volk, dass die Kirche - allein aus dem Geist der Wahrheit und der Liebe heraus und nicht aus politischen Erwägungen - tieftraurig über den Hass, die Verfolgung und den offen zur Schau getragenen Antisemitismus ist, den Christen jemals und wo auch immer auf der Welt gegen Juden gerichtet haben. Die Kirche lehnt jede Form des Rassismus ab, weil dieser direkt gegen das Abbild unseres Schöpfers gerichtet ist, das sich in jedem Menschen widerspiegelt. An diesem Ort feierlicher Erinnerung bete ich, dass unsere tiefe Anteilnahme für die Tragödie, die den Juden im 20. Jahrhundert widerfahren ist, zu einer neuen Beziehung zwischen Christen und Juden führen wird. Lasst uns eine neue Zukunft bauen, in der es keine antijüdischen Gefühle unter Christen oder antichristliche Gefühle unter Juden gibt, sondern nur gegenseitigen Respekt derer, die an ein und denselben Gott glauben.«
An der Klagemauer bat der Papst ebenfalls auf einem Gebetszettel, den er in die Ritzen
der Mauer steckte, um die Vergebung der Sünden der christlichen Kirchen gegenüber
dem jüdischen Volk.
Johannes Paul II. besuchte biblische Stätten in Jerusalem, Nazareth, Bethlehem und
am See Genezareth. Vor zahlreichen Pilgern hielt er in der Grabeskirche und an weiteren
historisch wichtigen Plätzen Heilige Messen ab.
Unter der israelischen Bevölkerung schuf der Papst ein nie gekanntes Vertrauen in
die Christenheit und lenkte die Aufmerksamkeit indirekt auch auf Jesus Christus: Die
Medien berichteten anlässlich der Papstreise sehr viel über das Leben und Wirken Jesu,
was von messianischen Gemeinden in Israel begrüßt wurde.
Die Palästinenser waren damals eher enttäuscht vom Papstbesuch: Zwar betonte er ihr
Recht auf Heimat, doch ging er wenig auf politische Provokationen durch Demonstrationen,
Fahnen und Luftballons ein. Vor allem zeigte er sich als Judenfreund und sein Besuch
galt in erster Linie Israel.
Papst Benedikt XVI. besuchte 2009 Israel und die Gedenkstätte Yad Vashem. Dieser Besuch
wurde als zu unpersönlich kritisiert, unter anderem von Parlamentspräsident Rivlin:
»Er kam und sprach zu uns, als ob er ein Historiker wäre, jemand, der von der Seitenlinie
zuschaut.«
Am Jahresbeginn 2011 kam er ein zweites Mal nach Israel, was als sehr wertvoll bewertet
wurde. Er sagte: »Ich bin als ein Freund der Israelis gekommen, aber ich bin auch
ein Freund der Palästinenser.«
Papst Fransiskus war 2014 in Israel und bemühte sich um Versöhnung von Muslimen, Juden
und Christen.
Für 2018 wurde Papst Fransiskus wieder nach Israel eingeladen: Anlässlich des Starts
der Radrundfahrt Giro d’Italia in Jerusalem!
Die protestantischen Gemeinschaften im Nahen Osten sind relativ jung und reichen nur ins frühe 19. Jahrhundert zurück, als die westliche Mission das Heilige Land »wiederentdeckte«. Absicht dieser Mission war es, die mehrheitlich muslimischen und jüdischen Gemeinschaften im Lande zu evangelisieren. Doch nur unter den arabisch sprechenden orthodoxen Gläubigen war diese Missionsbewegung erfolgreich.
Im Jahre 1841 entschlossen sich die Königin von England und der König von Preußen
zur Gründung eines gemeinsamen anglikanisch-lutherischen Bistums in Jerusalem. 1886
trennten sich beide Kirchen. Der englische Teil, die Episkopalkirche in Jerusalem
und im Nahen Osten (anglikanisch) wurde 1957 ein Erzbistum. Im Januar 1976 kam es
zu signifikanten Strukturveränderungen, die das Ende des Erzbistums bedeuteten. Mit
der Wahl und Weihe des ersten arabischen Bischofs wurde eine neue Diözese und Kirchenprovinz
in Jerusalem und im Nahen Osten gegründet. In dieser Diözese leben heute zirka 4500
Anglikaner (2500 bis 3000 in Israel).
Die Anglikaner bilden die größte protestantische Gemeinschaft im Heiligen Land. Der
anglikanische Bischof in Jerusalem hat seinen Sitz in der Kathedrale zum Heiligen
Märtyrer Georg in Jerusalem.
Seit ihrer Gründung im Jahre 1886 zog der deutsche Teil, die lutherische Kirche, zunehmend
arabische Mitglieder an. Seit 1979 hat die arabischsprechende Gemeinde ihren eigenen
Bischof und existiert unabhängig von der deutschen Gemeinde, obwohl beide die Räumlichkeiten
der Propstei im Muristan-Viertel der Jerusalemer Altstadt teilen. Die arabische Gemeinde
zählt ungefähr 500, die deutsche etwa 200 Mitglieder. Eigentum der deutschen lutherischen
Kirche, das von den Briten 1939 konfisziert worden war, wurde 1951 von der israelischen
Regierung im Rahmen des Wiedergutmachungsabkommens mit der Bundesrepublik Deutschland
erworben.
Die norwegische Mission in Israel übergab 1982 die Amtsgewalt und Verwaltung ihrer
beiden Missionskirchen in Haifa und Jaffa in die Hände der einheimischen Gemeinden.
Die Baptistenkirche im Heiligen Land hat ihre Anfänge in der Gründung einer Gemeinde
in Nazareth im Jahre 1911. Heute sind dem Verband der Baptistenkirchen insgesamt zehn
Kirchen und Zentren in folgenden Orten angegliedert: Akko, Kana, Haifa, Jaffa, Jerusalem,
Kfar-Yassif, Nazareth, Petach-Tikwa, Rama und Tur‘an. Die Gemeinschaft zählt etwa
900 Mitglieder, von denen die Mehrheit Arabisch spricht.
Die Kirche von Schottland (presbyterianisch) entsandte ihre erste Mission im Jahre
1840 nach Galiläa. Sie blieb in den folgenden hundert Jahren aktiv in den Bereichen
der Erziehung und medizinischen Versorgung der Bevölkerung tätig. Heute unterhält
die schottische Kirche als kleine, mehrheitlich im Exil lebende Gemeinde im Dienst
von Pilgern und Besuchern jeweils eine Kirche und ein Hospiz in Jerusalem und Tiberias.
Die unabhängige Edinburgher Medizinische Missionsgesellschaft unterhält in Nazareth
ein Lehrhospital für Krankenschwestern.
Die Kirche Gottes (Pfingstkirche) besitzt eine kleine Gemeinde in Jerusalem, Nazareth
und der West-Bank (insgesamt 200 Mitglieder) mit einem Internationalen Zentrum auf
dem Ölberg.
In den letzten Jahrzehnten wurden darüber hinaus drei kommunale, protestantische Landwirtschaftssiedlungen
in verschiedenen Regionen Israels ins Leben gerufen. Kfar Habaptistim, im Norden von
Petach-Tikwa, wurde 1955 gegründet und bietet neben der landwirtschaftlichen Arbeit
Konferenz- und Ferienlagermöglichkeiten für Baptisten und andere protestantische Gemeinschaften
im Land. Nes Amim, in der Nähe von Naharija, wurde von einer Gruppe holländischer
und deutscher Protestanten 1963 als ein internationales Zentrum zur Förderung des
christlichen Verständnisses Israels ins Leben gerufen. Westlich von Jerusalem wurde
1971 Yad Hashmonah gegründet, ein Gästehaus für christliche Besucher und Pilger aus
Finnland.
Neben den bereits genannten Gruppen gibt es in Israel noch eine Vielzahl sehr kleiner
protestantischer Konfessionsgruppen.
Wenn sechs christliche Denominationen in einem Kirchengebäude untergebracht sind, könnte man eigentlich davon ausgehen, dass sie gemäß der Forderung Jesu dies in einer liebevollen Einheit tun. Um die Grabeskirche in Jerusalem aber werden von nahezu jeder Konfession Besitzverhältnisse angemeldet, die nicht immer in brüderlicher Nächstenliebe ausgehandelt werden:
Da es für die Außenfassade der Grabeskirche keine Regelung gibt, ist eine bauliche Veränderung stets eine Angelegenheit aller Denominationen. Deshalb sieht man auch heute noch die berühmte Leiter, die an das rechte obere Fenster über der Eingangstür angelehnt ist. Es gab wohl schon Beratungen, was mit dieser Leiter geschehen sollte. Da man sich allerdings nie einigen konnte, blieb sie an Ort und Stelle. Und das schon seit geraumer Zeit. Den ältesten Hinweis gibt ein Gemälde, das Ende des 19. Jahrhunderts gemalt wurde, auf dem die Leiter auch schon an dem Fenster lehnt. An exakt derselben Stelle. Inzwischen würde man es wohl gar nicht mehr wagen, diese Leiter zu entfernen.
Ist dieser Zustand der Christenheit in der Grabeskirche ein Bild für die innere Zerstreutheit
der Christen? Wann werden Christen die Nachfolge Jesu Christi und die Liebe wieder
an die erste Stelle vor den lehrmäßigen Eigenheiten setzen?
Die Krönung dieser blamablen Darstellung der Christen in der Grabeskirche ist, dass
der Schlüssel für die einzige Eingangstür seit über 800 Jahren in den Händen von zwei
moslemischen Familien ist. Es handelt sich um die Familien Nusseibeh und Dschudeh,
die den bislang einzigen Eingang seit der Niederlage der Kreuzritter gegen Sultan
Saladin im 12. Jahrhundert hüten. Die Mitglieder dieser Familien wandern jeden Morgen
bei Sonnenaufgang zur Grabeskirche, um ihre schwere Holztür zu öffnen. Punkt 20 Uhr
am Abend wird das Gotteshaus mit dem 25 Zentimeter langen Schlüssel wieder abgesperrt,
danach wird er traditionell wieder im Haus der Nachbarsfamilie Dschudeh abgegeben.
Die molemischen Familen treten auch als Schlichter auf, falls es Streitigkeiten unter
den »christlichen« Hausherren gibt.
Im Blick auf das Jubiläumsjahr 2000 hat das israelische Tourismusministerium aus Sicherheitsgründen
auf eine zweite Tür gedrängt. Die Regierung hätte gerne eine hölzerne Pforte zum neuen
Ausgang ausgebaut, die schon zu Zeiten der Kreuzfahrer einmal als Weg nach draußen
diente und heutzutage in einen Lagerraum führt. Die armenisch-orthodoxe Kirche lehnte
diese Stelle ab und befürwortet statt dessen einen neutralen Standort, wo die drei
Haupthüter sich die Aufsicht teilen sollten. Die Armenier wollten einen Ausgang an
der Stelle, wo sich heute noch die öffentlichen Toiletten befinden. Dieser Ausgang
würde jedoch zur nahegelegenen Moschee führen. Und das wiederum lehnten die Israelis
ab.
Nach fünfjährigem Streit und einem prinzipiellen Entschluss für eine zweite Tür im
Jahr 1999 – bei deren Fertigstellung die Kirchenvertreter einen Schlüssel dafür bekommen
würden – steht die tatsächliche Umsetzung des Vorhabens immer noch aus.